Wenn Maschinen alles wissen, stellt sich die Frage, was für den Menschen in der Führungsrolle noch bleibt. Im Zuge der fortschreitenden Automatisierung und des verstärkten Einsatzes Künstlicher Intelligenz verändern sich die Anforderungen an Führung grundlegend. Klassische Vorstellungen, bei denen Fachwissen und Hierarchie im Zentrum stehen, geraten zunehmend unter Druck. Stattdessen rücken soziale Kompetenzen in den Fokus.
In vielen Organisationen basiert der Aufstieg zur Führungskraft nach wie vor auf fachlicher Exzellenz. Wer inhaltlich überzeugt, erhält Personalverantwortung. Doch in einer Arbeitswelt, in der Algorithmen und Systeme zunehmend operative Aufgaben übernehmen, verschiebt sich der Schwerpunkt. Fachwissen bleibt relevant, reicht jedoch nicht mehr aus. Führung wird in Zukunft vor allem dann wirksam, wenn sie auf zwischenmenschlichem Verständnis, Kommunikationsfähigkeit und Entwicklungsorientierung basiert.
Verantwortung zu übernehmen sollte mit einem positiven Selbstverständnis verbunden sein. Führung ist keine Last, sondern eine bewusste soziale Rolle. Verantwortung zu tragen bedeutet dabei nicht nur, Entscheidungen zu treffen, sondern Räume zu schaffen, in denen Menschen wachsen, sich entfalten und gemeinsam Ziele erreichen können. Damit wird Verantwortung selbst zu einer sozialen Fähigkeit, die sich aktiv gestalten lässt.
Ein zentrales Element zukunftsorientierter Führung bleibt das Feedback. Rückmeldung ermöglicht Orientierung, Reflexion und Entwicklung. In vielen Unternehmen reicht das jährliche Mitarbeitergespräch nicht mehr aus, um den schnellen Veränderungszyklen gerecht zu werden. Stattdessen etablieren sich neue, flexiblere Ansätze, die besser in den Arbeitsalltag integriert werden können.
Ein Beispiel für ein zeitgemäßes Feedbackformat ist das sogenannte Speedbacking. Kolleginnen und Kollegen geben sich unmittelbar nach konkreten Arbeitssituationen kurze, direkte Rückmeldungen. Diese spontane Form der Reflexion unterstützt schnelle Lernzyklen und eignet sich besonders gut für kleinere Teams oder projektbasierte Kontexte. Ergänzend dazu gewinnt auch Peer-Feedback an Bedeutung, das in strukturierterer Form stattfindet und stärker auf langfristige persönliche Entwicklung abzielt. Beide Formate fördern Eigenverantwortung, stärken das Vertrauen im Team und tragen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung im Arbeitsalltag bei.
In hybriden oder verteilten Arbeitsmodellen, in denen Führung häufig auf Distanz erfolgt, sind solche Feedbackmethoden besonders wertvoll. Sie unterstützen den Aufbau einer offenen Kommunikationskultur und tragen dazu bei, dass Führung nicht als Kontrolle, sondern als Unterstützung wahrgenommen wird.
Neben der Art und Weise, wie Führung ausgeübt wird, verändert sich auch ihre strukturelle Verankerung. Ein diskutierter Ansatz ist die Wahl der Führungsperson durch das Team. Dabei entscheiden Mitarbeitende selbst, wem sie Führungsverantwortung zutrauen und damit auch, wer sie in zentralen Fragen vertritt. Ein anderer Ansatz geht noch weiter und setzt auf kollektive Führung. In sogenannten Führungskreisen übernehmen mehrere Personen unterschiedliche Rollen und tragen die Verantwortung gemeinsam. Beide Ansätze stellen herkömmliche hierarchische Führungsstrukturen in Frage und fördern partizipative Formen der Zusammenarbeit.
Dieses Modell bringt neue Perspektiven in die Organisationsgestaltung. Es stellt die Frage nach Legitimation, Vertrauen und Akzeptanz. Gleichzeitig wirft es die Frage auf, wie skalierbar solche Strukturen sind. Während in kleineren Einheiten oder Projektgruppen kollektive Führung gut funktionieren kann, stoßen größere Organisationen möglicherweise an ihre Grenzen. Die Zahl der Beteiligten, der Koordinationsaufwand und die Notwendigkeit klarer Zuständigkeiten können zur Herausforderung werden.
Trotz dieser offenen Fragen zeigt das Modell, dass Führung nicht starr sein muss. Sie kann als dynamischer Prozess verstanden werden, der sich an den Bedürfnissen der Organisation und der Menschen orientiert. Führung als kollektive Aufgabe zu denken, eröffnet neue Handlungsspielräume und stärkt die gemeinsame Verantwortung.
Je mehr technische Systeme Fachwissen übernehmen, desto stärker treten menschliche Qualitäten in den Vordergrund. Der Umgang mit Unsicherheit, das Verstehen komplexer Zusammenhänge, das Gestalten von Beziehungen und das Begleiten von Veränderung sind Kompetenzen, die nicht delegiert oder automatisiert werden können. Sie bleiben Kernaufgabe von Führung.
In der Praxis bedeutet das, Führung neu zu denken. Nicht Anweisung, sondern Dialog. Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen. Nicht Position, sondern Beziehung. Wer führt, muss bereit sein, zuzuhören, zu vermitteln und Entwicklung zu ermöglichen. Das setzt Selbstreflexion voraus, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, und den Mut, auch unbequeme Themen offen anzusprechen.
Führung wird so zu einer Aufgabe, die weit über das Verteilen von Aufgaben und das Erreichen von Zielen hinausgeht. Sie wird zu einem sozialen Prozess, in dem es darum geht, Menschen zu befähigen und Organisationen zukunftsfähig zu gestalten. Soft Skills sind dabei nicht Beiwerk, sondern zentrale Voraussetzung für nachhaltige Wirksamkeit.
Die Inhalte dieses Beitrags basieren auf einer Session des BarCamps der GPM Fachgruppe Next Generation Leadership vom 22. Mai 2025.
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