
Seit vielen Jahren wird beobachtet, um wie viel schnelllebiger und komplexer das Umfeld von Unternehmen wird. Die Kundenanforderungen steigen, mehr Vertreter unterschiedlicher Interessen sind zu berücksichtigen, die Wettbewerbssituation wird drängender, der Innovationsdruck steigt – und das alles bei zunehmender Geschwindigkeit des Wandels. Im Projektmanagement kann daher oft nicht mehr nach der traditionellen Prämisse vorgegangen werden, nach der alle Anforderungen möglichst zum Projektbeginn genau spezifiziert und Änderungen dann im Projektverlauf mit systematischen Change-Request-Abläufen aufgefangen werden. So ein vorausschauendes, weitgehend lineares Vorgehen ist strukturiert und phasenorientiert planbar und bietet damit eine gewisse Sicherheit bezüglich Kosten- und Zeitbedarf sowie Ergebnisqualität. Allerdings können heutzutage die umfangreichen und komplexen Anforderungen an ein Projektergebnis eben nicht früh und vollständig aufgenommen und spezifiziert werden.
Daher wird seit einigen Jahren zunehmend mit agilen Ansätzen versucht, die Anforderungen nicht zu Projektbeginn möglichst vollständig zu erheben, sondern im Projektverlauf schrittweise aufzunehmen und zu verfeinern. Mit einem inkrementellen und iterativen Vorgehen wird angestrebt, die in Änderungs- und Entwicklungsprozessen notwendige Kreativität und Innovationskraft nicht durch (zu) detaillierte Vorgaben einzuschränken.
Bevorzugt werden agile Ansätze, wenn zu Projektbeginn unscharfe Vorstellungen zum Projektergebnis und unvollständige Anforderungen vorliegen. Bekannte agile Ansätze sind zum Beispiel iteratives Vorgehen zur Entwicklung von Software wie eXtreme Programming (XP) und Scrum, Kooperationsmodelle, die flachere Strukturen und weniger Bürokratie betonen oder Frameworks, mit denen agile Ansätze in größeren Arbeitszusammengängen eingesetzt werden beziehungsweise traditionelle Ansätze wie Kanban oder Kaizen kombiniert werden.
Derartige agile Vorgehensweisen werden in der Fachöffentlichkeit seit einigen Jahre diskutiert. So haben zum Beispiel einschlägige Veranstaltungen der Regionalgruppen der GPM großen Zulauf. Allein in Hannover sind innerhalb eines Jahres gemeinsame Veranstaltungen der Regionalgruppe Hannover der GPM und vom VDI et al. anzuführen zum Thema „Big Bang: Umstellung von 260 Kolleginnen und Kollegen auf agile Arbeitsweisen“, zum Thema „Hybrides Projektmanagement mit einer digitalisierten Unternehmensführung“ und zum Thema „Facetten des Projektmanagements: Klassisch, agil oder hybrid – Was passt zu uns?“; jeweils mit mehr als mehr als 100 Personen. Ebenso sind auf Fachkongressen der GPM und IPMA entsprechende Themen vertreten, in Fachgesellschaften bilden sich für das Thema spezialisierte Fachgruppen, so in der GPM eine Fachgruppe zum agilen Projektmanagement. Zudem werden Studien zum Stand des Einsatzes von agilen Ansätzen im Projektmanagement veröffentlicht [z.B. 1, 2, 3].
An der Hochschule Hannover wurde in Zusammenarbeit mit der GPM im Herbst 2020 eine thematisch breit aufgestellte Untersuchung zum Projektmanagement in Unternehmen durchgeführt. Die Studie der Professoren Georg Disterer und Andreas Daum wurde auch im Blog der GPM vorgestellt. Dabei wurden Mitarbeiter/innen zum aktuellen Stand und zur zukünftigen Akzeptanz von agilen Ansätzen im Projektmanagement befragt. Interessant waren die Antworten jener 2.503 Befragten, die über profunde Projekterfahrungen verfügen, da sie …


Schon heute werden in nur 24% der Unternehmen Projekte ohne agile Ansätze durchgeführt. In drei Jahren wird dieser Anteil, in denen Projekte mit traditionellen und klassischen Ansätzen des Projektmanagements durchführt werden, nur noch 9% betrage – während dann in 59% der Unternehmen agile Ansätze in vielen oder allen Projekten genutzt werden. Daher ist aus den Antworten der Befragten eindeutig zu konstatieren, dass agile Ansätze im Projektmanagement immer mehr gefragt sind.
Im Projektmanagement gibt es seit 40 Jahren von mehreren Fachgesellschaften definierte und international anerkannte Zertifizierungsprogramme. Das Interesse daran war in den vergangenen Jahren groß – zum einen von Personen auf der Suche nach Weiterbildung und zum anderen von Arbeitgebern auf der Suche nach qualifiziertem Personal. Auf den in den vergangenen Jahren aufkommenden Trend zum Einsatz agiler Ansätze im Projektmanagement werden die Fachgesellschaften reagieren müssen, um das Interesse an ihren Angeboten und ihre Anerkennung zu erhalten. Dabei muss sicherlich allen Initiativen und Fachgesellschaften eingestanden werden, dass die Corona-Umstände des Jahres 2020 viel Momentum und Vortrieb gekostet haben – es muss heute offenbleiben, wie schnell das im Jahr 2021 aufgeholt bzw. eingeholt werden kann.
Die in Europa besonders stark vertretene International Project Management Association (IPMA) hat auf Ebene des internationalen Dachverbands im Jahr 2017 begonnen, ein Zertifizierungsschema vorzubereiten, in deren Mittelpunkt agile Ansätze stehen. Zu dem neun Referenzrahmen „Agile Reference Guide ICB4 in an Agile World“ [4] entwickelt, zu dem das Zertifizierungsschema „Agile Leadership“ eine stufenweise Zertifizierung von Kompetenzen und Fähigkeiten beginnend mit dem Einstieg auf Level-D als „Certified Agile Associate“, den Stufen Level-C „Certified Agile Leader“ und Level-B „Certified Agile Senior Leader“ bis hin zum Level-A „Certified Agile Organisational Leader“ vorsieht [5]. In einigen Länder in Europa wie Österreich, Schweiz und Finnland sind die ersten Zertifikate nach dem Schema „Agile Leadership“ der IPMA bereits ausgestellt worden. Vielmehr In Deutschland hat die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. schon vor einigen Jahren ein Zertifikat „hybrid+“ entwickelt [6], das als Ergänzung zu IPMA-Zertifikaten im Projektmanagement angeboten wird. Project Management Institute (PMI), ebenfalls ein großer, weltweit agierender Fachverband für das Projektmanagement, bietet jetzt zusätzlich zum Programm von Trainings und Zertifikaten zum Projektmanagement ein Zertifikat „Agile Certified Practitioner“ (PMI-ACP) an [7].
Die großzahlige Befragung von Mitarbeiter/innen mit profunden Projekterfahrungen hat ein erhebliches Interesse und einen erheblichen Bedarf an agilen Ansätzen in Projekten gezeigt. Dieser Bedarf wird voraussichtlich in den nächsten Jahren deutlich steigen. Für manche Formen und Typen von Projekten wird es zum Standard werden, in erheblichen Umfang agile Ansätze einzusetzen.
[1] PwC (Hrsg.): Vertrauen in die agile Projektumsetzung - Mehrwert für die Unternehmen schaffen 2019.
[2] Komus, A., Kuberg, M.: Status Quo (Scaled) Agile 2019/20 - 4. Internationale Studie zu Nutzen und Erfolgsfaktoren (skalierter) agiler Ansätze, Hochschule Koblenz (Hrsg.), Koblenz 2020.
[3] Peters, C., Simmert, B., Eilers, K., Leimeister, J. M.: Future Organisation Report 2020, Universität St. Gallen (Hrsg.), Institut für Wirtschaftsinformatik, St. Gallen
[4] IPMA International Project Management Association IPMA (Hrsg.): IPMA Reference Guide ICB4 in an Agile World (V 2.3) 2018.
[5] www.ipma.world/ipma-agile-leadership.
[6] www.gpm-ipma.de/weiterbildung/projektmanager/aufbaulehrgang_hybrid.
[7] www.pmi.org/certifications/agile-acp Abruf 20.01.2021
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Georg Disterer, Prof. Dr., lehrt Wirtschaftsinformatik an der Fakultät für Wirtschaft und In¬for¬matik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und vieler Fachbeiträge zu Themen der Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre. Seine Lehr- und Forschungsgebiete umfassen insbesondere: Informationsmanagement, IT Service Management, IT-Compliance, IT-Projektmanagement. Zudem ist er IT-Sachverständiger (ö.b.u.v.) und Fachgutachter in nationalen und internationalen Forschungsprogrammen. georg.disterer@hs-hannover.de
georg.disterer@hs-hannover.deAndreas Daum, Prof. Dr., lehrt Betriebswirtschaftslehre und Projekt-management an der Fakultät für Wirtschaft und Informatik der Hochschule Hannover und ist Autor einiger Fachbücher und Fachbeiträge zur Betriebswirtschaft und zum Projektmanagement/ -controlling. Er ist seit über 30 Jahren Mitglied der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., leitet seit über 20 Jahren die GPM Regionalgruppe Hannover und ist seit über 10 Jahren Autorisierter Trainingspartner der GPM. andreas.daum@hs-hannover.de
a.daum@gpm-ipma.de
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