Projektmanagement in Zeiten der Komplexität: Wie organisationale Reife neu gedacht werden muss

Die moderne Geschäftswelt ist geprägt von Dynamik, Globalisierung und Digitalisierung, welche Unternehmen in einen ständigen Wettlauf um Anpassungsfähigkeit zwingen. In dieser globalisierten Welt sehen sich Organisationen zahlreichen komplexen Herausforderungen gegenüber, die sich in erhöhter Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) von Informationen und Sachverhalten manifestieren. 

Um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden, hat sich die Arbeitsweise in vielen Unternehmen grundlegend gewandelt: vom rein operativen Betrieb hin zu einem projektorientierten Ansatz, einem Phänomen, das als Projektifizierung bezeichnet wird. Projekte sind nicht mehr nur isolierte Werkzeuge zur Umsetzung einzelner Maßnahmen, sondern haben sich zur zentralen Organisationsform für Transformation, Innovation und Digitalisierung entwickelt. Konsekutiv hat sich das Projektmanagement (PM) als strategische Kompetenz in Unternehmen verankert, und die erfolgreiche Umsetzung von Projekten ist zu einem kritischen Erfolgsfaktor avanciert. Projektmanagement ist heute zentraler Treiber von Innovation und Veränderung in Organisationen. 

Die Komplexitätsfalle und die Grenzen traditioneller Ansätze 

Trotz der strategischen Bedeutung des Projektmanagements weisen zahlreiche Studien seit Jahren darauf hin, dass ein erheblicher Anteil von Projekten ihre angestrebten Ziele verfehlt oder nur unter erheblichen Abweichungen abgeschlossen werden kann. Die Ursachen für diese Misserfolge sind selten in einem Mangel an Methoden oder Werkzeugen zu finden. Vielmehr liegen die Probleme oft in inkonsistenten Prozessen, unklaren Rollen und vor allem in einer fehlenden kulturellen Verankerung der Projektmanagement-Disziplin. Diese Defizite lassen sich als Folge organisationaler Komplexität identifizieren. 

Die Entwicklung hin zu vernetzten und heterogenen Systemen in Unternehmen schreitet voran. Eine PWC-Studie zeigt auf, dass 81,5 % der Entscheidungsträger mit einer linearen oder exponentiellen Zunahme der Komplexität in ihren Unternehmensstrukturen rechnen. Auftretende Kommunikationsbarrieren, Intransparenz und Ressourcenverschwendung erschweren die effiziente und erfolgreiche Umsetzung von Projekten zusätzlich. 

Zur Erfassung der PM-Fähigkeiten von Organisationen werden traditionell Reifegradmodelle genutzt, die den Anspruch verfolgen, Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Bei näherer Betrachtung zeigen diese Modelle jedoch erhebliche Defizite in ihrer Aussagekraft und Eignung für komplexe Umgebungen. 

  1. Hohes Abstraktionsniveau: Viele Modelle verbleiben auf einem zu hohen Abstraktionsniveau und reduzieren die organisationale Komplexität unzureichend. 
  2. Starre Stufenlogik: Die Modelle operieren mit starren, linearen Stufenlogiken und liefern lediglich eine grobe Klassifizierung. In der Realität können einzelne Teilbereiche des Projektmanagements jedoch sehr unterschiedlich weit entwickelt sein. 
  3. Vernachlässigung kultureller Faktoren: Kulturelle Faktoren wie Führung, Zusammenarbeit oder Veränderungsbereitschaft werden bislang nur am Rande berücksichtigt. 

Somit fehlte es bislang an einem Instrument, das die organisationale Komplexität realistisch abbildet, operative Verbesserungsfelder sichtbar macht und konkrete Entwicklungspfade aufzeigt. 

Das Adapted Project Management Maturity Model (APM3) 

Vor diesem Hintergrund wurde das Adapted Project Management Maturity Model (APM3) entwickelt. Die zentrale Zielsetzung des APM3 ist es, die Lücke zwischen theoretischem Anspruch und betrieblicher Realität im Projektmanagement zu schließen. Das Modell baut auf dem Project Management Maturity Model (PMMM) von Kerzner auf, welches aufgrund seines generischen Charakters als geeignete Grundlage diente. 

Die wissenschaftsmethodologische Fundierung des APM3 wurde im Sinne der Forschung im Gegenstrom ausgestaltet. Dieser Ansatz kombiniert Deduktion (Literaturrecherche zu PM, Komplexität und Reifegradmodellen) mit Induktion (Experteninterviews und Fokusgruppen). Durch das konfrontierende Zusammenspiel von Theorie und Praxis konnte eine Synthese geschaffen werden, die valide Ergebnisse liefert und gewährleistet, dass das APM3 sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praxisnah anschlussfähig ist. 

Zentrale Erkenntnisse und Innovationen des APM3 

Die Weiterentwicklung des Modells war geprägt von Entscheidungen, welche Aspekte aus bestehenden Modellen übernommen und welche Kriterien neu integriert werden mussten. Durch die integrative Adaption wurden mehrere Neuerungen konsistent aufeinander abgestimmt. 

1. Die Rolle des Menschen und der Kultur 

Eine zentrale Erkenntnis, die aus der Forschung gewonnen wurde, ist die Feststellung, dass Projektmanagement weitaus mehr umfasst als Prozesse, Methoden und Techniken. Ein reiner "Werkzeugkoffer" reicht nicht aus, um Projekte erfolgreich zu managen. Der Erfolg hängt maßgeblich von den Menschen ab, die im Projekt arbeiten und es gestalten. 

  • Integration der Organisationskultur: Im APM3 wurde daher neben den ursprünglichen Dimensionen des PMMM ("gemeinsame Sprache", "gemeinsame Prozesse" und "einzigartige Methodik") eine zusätzliche Dimension integriert, die sich explizit mit der Organisationskultur befasst. 
  • Wirkung kultureller Faktoren: Empirische Ergebnisse bestätigten, dass Projekte zwar methodisch gesteuert werden können, ihr Erfolg jedoch maßgeblich von kulturellen Faktoren abhängt. Standards bleiben wirkungslos, wenn keine projekt-förderliche Kultur vorhanden ist. 
  • Neues Verständnis von Reife: Mit der Aufnahme der Dimension „Organisationskultur“ rückt das ICB-Kompetenzelement Kultur und Werte in den Mittelpunkt, und Projektmanagementreife wird erstmals als Zusammenspiel von Prozessen, Methoden und Menschen verstanden. 

2. Von der Stufe zum Netz: Realistische Abbildung organisationaler Komplexität 

Traditionelle Modelle suggerieren oft einen linearen Fortschritt entlang einer Reifestufenleiter. Diese vereinfachende Logik wird der Komplexität der organisationalen Wirklichkeit nicht gerecht, da Teilbereiche des Projektmanagements sehr unterschiedlich weit fortgeschritten sein können. 

  • Netzdarstellung: Das APM3 transformiert die klassische Stufenlogik in eine Netzdarstellung. Diese netzartige Struktur bricht mit der linearen Vereinfachung und ermöglicht es, verschiedene Entwicklungsstände innerhalb einer Organisation parallel abzubilden. 
  • Differenzierte Diagnose: Auf diese Weise entsteht ein realistischeres Bild der organisationalen Wirklichkeit, das differenzierte Diagnosen von Defizitmustern und Stärken erlaubt. 

3. Handlungsfähigkeit statt Abstraktion 

Viele Reifegradmodelle liefern den Organisationen lediglich eine abstrakte Einordnung. Die Praxis erfordert jedoch konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungen. 

  • Operationalisierung der Dimensionen: Die Bewertungsdimensionen des APM3 wurden in konkrete Untersuchungsbereiche untergliedert, was eine präzisere Analyse und Bewertung ermöglicht. 
  • Ableitung konkreter Pfade: Diese Struktur erlaubt es, konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten und operative Entwicklungspfade sichtbar zu machen. Anstatt Organisationen abstrakt auf einer Stufe einzuordnen, zeigt das Modell, welche Felder vorrangig weiterzuentwickeln sind und erfüllt so den Anspruch, einen „Pfad der Verbesserung“ aufzuzeigen. 

4. Die Notwendigkeit der Kontinuierlichen Verbesserung 

Gerade in einer volatilen Umwelt gewinnt der Gedanke der ständigen Weiterentwicklung an Bedeutung. 

  • Der iterative Pfeil: Das APM3 wird visuell wie konzeptionell durch einen iterativ umschließenden Pfeil ergänzt, der die Notwendigkeit des kontinuierlichen Hinterfragens und der ständigen Weiterentwicklung symbolisiert. 
  • Evaluation und Benchmarking: Dieser Pfeil verweist auf die Notwendigkeit für Organisationen, sich regelmäßig im Branchenvergleich einzuordnen („Benchmarking“) und die Erkenntnisse in kontinuierliche Verbesserungsprogramme zu übersetzen. 

Fazit und Ausblick 

Das APM3 ermöglicht es Organisationen, ihre Komplexität realistisch zu erfassen, Schwächen systematisch zuzuordnen und Entwicklungsmaßnahmen abzuleiten. Damit wird der Forderung begegnet, Abstraktion in Handlungsfähigkeit zu überführen. 

Aufgrund seines generischen Charakters ist das Modell auf unterschiedliche Organisationstypen übertragbar und kann auf die konkreten Bedürfnisse von Unternehmen zugeschnitten werden, ohne die intrinsische Grundlogik zu verlieren.  

Das APM3 leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Projektmanagement-Disziplin. Es stärkt verschiedene Kompetenzelemente, insbesondere im Bereich „Perspective“, da es Unternehmen hilft, ihre Strukturen und Prozesse zu verbessern, und schärft durch die Integration der Organisationskultur das Verständnis dafür, dass Kompetenzelemente wie Führung und Teamarbeit einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität eines Projekts haben. 

Der Autor wurde für seine Forschungsarbeit mit dem „Deutschen Studienpreis Projektmanagement 2025“ ausgezeichnet. Mehr über den Preis erfahren Sie hier

Die Preisverleihung zum “Deutschen Studienpreis Projektmanagement” finden Sie hier

Kommentare

* Diese Felder sind erforderlich

Keine Kommentare

Autoren

Leonard Latief hat den Bachelorstudiengang "BWL – Digital Commerce Management" an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn absolviert und ist als Junior Business Consultant bei der Markant Gruppe in Offenburg tätig.

leonard.latief@de.markant.com