
Wir erleben derzeit einen tiefgreifenden, gesamtgesellschaftlichen Umbruch, der oft mit der industriellen Revolution verglichen wird. Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung führen u.a. zu neuen Formen der Zusammenarbeit, automatisierten Wertschöpfungsketten und revolutionierten Geschäftsmodellen. Dabei heben neue Kommunikationsmöglichkeiten räumliche und zeitliche Grenzen auf. Dies bringt einerseits enorme Chancen und Potenziale mit sich, doch andererseits stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die menschliche Arbeit und die notwendigen Kompetenzen haben wird?
Meines Erachtens werden wir in der neuen digitalisierten Welt insbesondere hochspezialisierte „mobile“ Experten und „brückenbauende“ Projektmanager benötigen – allerdings mit viel höheren Anforderungen an sozialen und systemischen Kompetenzen als in der Vergangenheit notwendig waren.
Die Digitalisierung verändert die Arbeitsweise und –struktur und erhöht dadurch die Anforderung an die Veränderungsfähigkeit von Fachexperten
Wir beobachten einen immer schneller werdenden technologischen Wandel und Fortschritt mit immer kürzeren Produktlebenszyklen. Im Rahmen von Industrie 4.0 soll die industrielle Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt und dadurch ganze Wertschöpfungskette optimiert werden (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Industrie_4.0).
Industrie 4.0 ist dabei nur eine Facette der Digitalisierung, jedoch kann man erahnen, dass Digitalisierung nicht vor hochqualifizierten Berufsgruppen halt machen wird. Um die Auswirkungen auf Tätigkeiten und Kompetenzen beurteilen zu können, muss daher die Frage beantwortet werden, inwieweit und welche Tätigkeiten durch Digitalisierung ersetzbar sind. Hierzu wurden empirische Studien durchgeführt, die dieser Fragestellung nachgegangen sind. Die Streuung der Ergebnisse ist dabei sehr hoch und variiert von einer Substitutionsrate um die 10% (Bonin et al.) bis über 50% (Carl B. Frey und Michael A. Osborne 2013) in den nächsten 10-20 Jahren. Die meisten Untersuchungen kommen zu einer ähnlichen Aussage, wonach die Höhe des Einkommens und die Höhe des Bildungsniveaus positiv korrelieren mit einer sinkenden Automatisierungswahrscheinlichkeit. Zudem sind Routinetätigkeiten eher ersetzbar als Nicht-Routinetätigkeiten und es gibt Tätigkeiten, die weniger anfällig sind substituiert zu werden. Die Mehrheit kommt zum Ergebnis, dass ein großer Effekt auf die Gesamtbeschäftigung durch technologischen Fortschritt als unwahrscheinlich einzuschätzen ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich zukünftig menschliche Arbeit eher auf komplexe, nicht automatisierbare Arbeit konzentrieren könnte, kombiniert mit einer höheren Anforderung an Qualität.
Die Digitalisierung verlangt schwerpunktmäßig zunehmend nach anderen fachlichen Kompetenzen. Eine mögliche Auswirkung sei am Beispiel der Forschung und Entwicklung im Bereich Bohrmaschinen erläutert. Die Forschung und Entwicklung von Bohrmaschinen war in der Vergangenheit stark auf den Maschinenbau ausgerichtet, die Elektronik spielte eine Nebenrolle. Doch findet derzeit eine Digitalisierung von Bohrmaschinen statt, sodass die Maschinen miteinander kommunizieren können. Ziel ist es, Informationen aus dem Nutzungsverhalten zu erhalten, um dem Kunden neue Produkte anbieten zu können, die ihn in seiner Arbeit optimal unterstützen. Der elektrotechnische Anteil an der Entwicklung nimmt dabei sehr stark zu und könnte Experten zufolge zukünftig einen Anteil von bis zu 50% an der Wertschöpfung betragen. Die Auswirkungen auf den Fachbereich Maschinenbau sind offensichtlich. Neben elektrotechnischen Kompetenzen werden in diesem Umfeld insbesondere immer mehr IT- und Programmierskills benötigt werden, ein klassischer Maschinenbauingenieur wird dem nicht mehr gerecht.
Fachexperten werden zukünftig Kompetenzen in den „richtigen“ Fachbereichen benötigen und eine höhere fachliche „Mobilität“ benötigen. Wie auch Umwelt und Trends, werden sich die benötigten Kompetenzen ständig verändern. Die Experten können zukünftig nicht mehr darauf vertrauen, in ihrer Nische zu verharren, sondern benötigen ein gutes Gespür, welche Entwicklungen stattfinden und wie sie sich in dem wandelnden Umfeld persönlich und fachlich weiterentwickeln können. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man in dem angestammten Gebiet bleibt und sich dort weiterentwickelt, um ggf. fehlende Kompetenzen aufzubauen oder sinnvoll zu ergänzen. Es wird aber auch immer der Zeitpunkt kommen, an welchen es ratsam ist „alte Gewässer“ zu verlassen, um sich in neue Bereiche hinein zu entwickeln und neue Chancen im Umfeld von aufkommenden Trends für sich zu nutzen (z. B. der klassische Maschinenbauingenieur, der sich in Elektrotechnik weiterentwickelt sowie IT und Programmierkenntnisse aufbaut). Diese Fähigkeit zur Einschätzung von Opportunitäten, kombiniert mit der Fähigkeit der „fachlichen Mobilität“, wird zunehmend zum Erfolgsfaktor in einer sich immer schneller drehenden Welt. Der Fachexperte benötigt hierzu eine intrinsische Motivation und Neugier um Neues zu erschließen. Routinetätigkeiten werden stark zurückgehen, es bedarf einer kontinuierlichen Veränderungsbereitschaft mit einer gezielten Weiterbildung als Basis für den Erfolg.
Zukünftig steigt die organisationsinterne und -übergreifende Projektarbeit stark an – dies hat Auswirkung auf die Netzwerkkompetenz des Projektmanagers
„… Die meisten Organisationen (haben) in den letzten Jahren ihre Eigenkomplexität systematisch gesteigert, sei es durch neuartige Formen der Binnendifferenzierung, durch die gezielte Internationalisierung von Funktionen, durch die Verstärkung netzwerkförmiger Kooperationen etc.“ (Prof. Dr. Rudolf Wimmer, Universität Witten/Herdecke)
Gerade die Kombination aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Wissensträgern bietet ungeahntes Potenzial für Innovationen, weswegen die organisationsübergreifende Kooperation zunimmt. Dies fördert die netzwerkförmige Zusammenarbeit, z.B. in Forschungsprojekten. Ein geeignetes Beispiel um dieses Potenzial zu verdeutlichen, ist das Projekt „C3 – Carbon Concrete Composite“, Gewinner des Deutscher Zukunftspreises 2016. Am Projekt sind rund 140 Institute und Unternehmen beteiligt, geleitet wird es durch zwei Professoren aus dem Institut für Massivbau einerseits und dem Institut Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik andererseits. Ziel ist die Erforschung des revolutionären Baustoffes Carbonbeton durch zusammenbringen von Passivbautechnik mit Textiltechnik. So ersetzt er Stahlbewehrung durch Carbon – einem Gelege aus feinen Kohlenstofffasern. Dadurch ist ein neuartiger Betonverbundstoff entstanden, der deutlich widerstandsfähiger als herkömmlicher Stahlbeton ist. Er ist umweltschonender, hält länger und ist sehr vielfältig einsetzbar. Dadurch sind Häuser, Brücken und Türme weniger aufwändig und weniger teuer instand zu halten (vgl. www.deutscher-zukunftspreis.de).
Ein schönes Beispiel, wie bahnbrechende Innovation durch eine kluge Kombination von Expertisen und Fachrichtungen erreicht werden kann. Dies wird durch die Möglichkeiten der Digitalisierung weiter zunehmen. Wir haben derzeit einen Grad an Digitalisierung erreicht, der uns viele Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit und Vernetzung bietet. So nutzen wir Soziale Netzwerke, Open Business oder andere Cloud-basierte Technologien, die optimal in der Projektarbeit verwendet werden können. Mit sehr großen Potenzialen für eine dezentrale und globale Zusammenarbeit ohne räumliche Distanzen und Unternehmensgrenzen als Hindernis.
Eine wesentliche Kompetenz eines Projektmanagers in diesem Kontext wird es sein, die benötigten fachlichen Skills innerhalb und außerhalb der Organisation zusammenzubringen und damit die entscheidenden Brücken zu schlagen. Es geht zukünftig weniger darum, jegliche benötigte Fachexpertise persönlich oder in der Organisation aufzubauen als vielmehr um das Wissen, wo man die ergänzenden Fähigkeiten schnell und flexibel erschließen kann.
Der Projektmanager muss dabei in der Lage sein, die entsprechenden Kompetenzen zu erkennen und zu integrieren. Er muss aber auch der daraus resultierenden größeren Komplexität innerhalb und außerhalb des Projektteams Rechnung tragen und die teilweise völlig unterschiedlichen Fachrichtungen, Perspektiven und Denkweisen im Projekt zusammenführen. Die kulturellen Unterschiede können dabei sehr groß dein. Schafft man es die Diversität und interdisziplinären Kompetenzen erfolgreich im Projekt zu integrieren, entsteht ein Projektergebnis, welches weit mehr sein kann als die Summer seiner Einzelteile. Die digitalisierte Welt treibt dabei den Anspruch an die sozialen und systemischen Kompetenzen des Projektmanagers an.
Die Potenziale der Digitalisierung können nur durch einen Projektmanager mit einer sehr hohen sozialen und systemischen Kompetenz realisiert werden
Die Digitalisierung bleibt in Deutschland derzeit meist auf der Technologieebene stecken. Eine Befragung von Bearing Point unter 281 Unternehmen ergab, dass nicht die Technologie die größte Hürde der Digitalisierung ist, sondern vielmehr die Unternehmenskultur, -struktur und die Organisation.


Keine Kommentare
Kommentare