Führung im Dunkeln: Was Projektleiter vom Höhlentauchen lernen können

In der heutigen komplexen Geschäftswelt, die von schnellen globalen Transformationen und hoher Unsicherheit geprägt ist, stehen Führungskräfte vor immensen Herausforderungen. Besonders in hybriden, global verteilten Teams sind klare Sicht und sichere Navigation oft Mangelware. Wie führt man ein Team erfolgreich, wenn Transparenz fehlt und Ungewissheit dominiert? Ausgerechnet eine extreme Sportart liefert dafür wertvolle Erkenntnisse: Das  Höhlentauchen. 

Die überraschende Erfolgsquote: Ein Weckruf für das Projektmanagement 

Eine Umfrage unter Projektleitern offenbarte eine erschreckende Erkenntnis: Lediglich 40 % der Projektleiter großer Projekte waren zuversichtlich, ihre Projektziele sicher zu erreichen. Das bedeutet, dass 60 % der Verantwortlichen nicht an den Erfolg ihrer eigenen Projekte glauben. Diese Dysbalance war ein deutliches Signal, genauer hinzusehen und zu verstehen, was Höhlentaucher richtig machen und was Projektmanager davon lernen können. 

Dabei handelt es sich beim Höhlentauchen nicht nur um eine nette Metapher. Tauchgänge in Höhlen können aufgrund ihrer definierten Start- und Endpunkte sowie der inhärenten Risiken tatsächlich als Projekte definiert werden. So wie die Projekte eines Höhlentauchers zu 100% erfolgreich sein müssen, sollte auch das Ziel für Unternehmensprojekte die vollständige Zielerreichung sein – im Gegensatz zu den oft ernüchternden 40%. 

Herausforderungen globaler, hybrider Teams 

Moderne globale SAP S/4HANA-Transformationsprojekte, wie sie in der Praxis geleitet werden, umfassen oft Hunderte von Teammitgliedern weltweit, von denen viele nie persönlich getroffen werden. Solche hybriden Teams sind mit enormen Herausforderungen konfrontiert: 

  • Unterschiedliche Zeitzonen und kulturelle Differenzen. 
  • Hohe Unsicherheit und massiver Veränderungsdruck. 
  • Kommunikationsschwierigkeiten und Missverständnisse. 
  • Mangelndes Vertrauen und erschwerte Zusammenarbeit. 
  • Die Überbetonung technischer Tools kann dazu führen, dass der menschliche Aspekt und die tatsächliche Zusammenarbeit in den Hintergrund treten. 
  • Risikomanagement wird oft als "unsexy" empfunden und vernachlässigt. 

Drei zentrale Erfolgsfaktoren unter Druck – Lehren aus der Tiefe 

Die Prinzipien, die in den extremen Bedingungen des Höhlentauchens über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, lassen sich direkt auf komplexe Transformationsprojekte übertragen. 

1. Klare Kommunikation 

  • Sowohl unter Wasser als auch im digitalen Raum ist präzise Kommunikation entscheidend. 
  • Im Höhlentauchen, wo Sprechen unmöglich ist, werden Hand- und Lichtsignale, sowie Marker (sogenannte "Cookies") verwendet, um effektive Kommunikation und präzise Koordination zu gewährleisten. 
  • Für Remote-Teams bedeutet dies, klare Regeln, Verfahren und Werkzeuge für die Kommunikation über Zeitzonen und Kulturen hinweg zu etablieren. Ein Beispiel ist ein aktiv moderierter globaler Teams-Channel, der den Austausch fördert und Hierarchieebenen überbrückt. 

2. Vertrauen 

  • Vertrauen ist das Fundament für Motivation und effektive Zusammenarbeit in hybriden und autonomen Teams. 
  • Gerade wenn Teammitglieder sich nie persönlich begegnen, ist es eine Kernaufgabe der Führung, Vertrauen aufzubauen. 
  • Im Höhlentauchen wird Vertrauen durch gemeinsame Standards und Zertifizierungen geschaffen: Wenn ein Taucher über ein anerkanntes "Full Cave Diver"-Zertifikat verfügt, wissen die Teammitglieder, dass er die gleichen Kommunikations- und Ausrüstungsstandards beherrscht, was sofortiges Vertrauen ermöglicht. Dies lässt sich auf Projektteams übertragen, indem man auf gemeinsame Methodik- und Qualitätsstandards setzt. 

3. Resilienz & Risikomanagement 

  • Die Fähigkeit, mit Unsicherheit und Krisensituationen umzugehen, ist entscheidend. 
  • Höhlentaucher setzen auf Redundanz – beispielsweise führen sie nicht nur eine, sondern drei Lichtquellen mit sich. Dies ist eine direkte Übertragung auf das Projektmanagement, wo Management-Reserven und ein strukturiertes Risikomanagement essenziell sind. 
  • Dies wird verglichen mit Hochzuverlässigkeitsorganisationen (High Reliability Organizations, HROs) wie Fluggesellschaften oder Kernkraftwerken, die darauf ausgelegt sind, nahezu 100 % zuverlässig zu funktionieren. Projektmanager können von deren Methoden lernen, um ihre Projekte ebenfalls hoch zuverlässig zu gestalten. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der aus der Geschichte des Höhlentauchens hervorgeht, ist die Entwicklung von Standards aus der Praxis heraus. Ähnlich wie die Höhlentaucher-Community nach zahlreichen Unfällen eigene Standards und Verbände gründete, tragen auch im Projektmanagement internationale Verbände wie die IPMA oder in Deutschland die GPM dazu bei, Standards aus der Erfahrung von Praktikern zu entwickeln und weiterzuentwickeln. 

Praktische Empfehlungen für Führungskräfte 

Aus diesen Erkenntnissen lassen sich sofort umsetzbare Empfehlungen für Führungskräfte ableiten: 

  • Setzen Sie auf bewährte Methoden wie die RACI-Matrix, asynchrone Koordination und Techniken zum Vertrauensaufbau, um Effizienz und Motivation in Remote-Teams zu steigern. 
  • Moderieren Sie Kommunikationskanäle aktiv, um den Austausch zu fördern und das Team in Kontakt zu halten. 
  • Vermeiden Sie eine alleinige Technikfixierung; das Projektmanagement bleibt ein "People Business". Persönliche Interaktion, besonders zu Beginn eines Projekts oder in kritischen Phasen, bleibt unerlässlich, um Beziehungen und Kreativität zu fördern. 
  • Fokus auf die menschliche Komponente: Vertrauen schaffen, Teammitglieder auf ein gemeinsames Ziel ausrichten, Prioritäten setzen und Motivation fördern – das sind unersetzliche Leadership-Qualitäten. 

Michael Ryba spricht beim 34. IPMA World Congress zum Thema "Leadership im Dunkeln: Hybride Teams führen”. Weitere Informationen zum IPMA World Congress finden Sie hier. 

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Autoren

Michael Ryba ist Projektmanager, Leadership-Experte und Keynote Speaker mit über 20 Jahren Erfahrung in globalen Transformationsprojekten, insbesondere in Strategie- und IT-Implementierungen. Als Project Director bei Bosch leitete er internationale Digitalisierungsinitiativen und verantwortet aktuell ein globales SAP S/4HANA-Projekt. Seine Expertise kombiniert er mit Erfahrungen aus dem Extremsport Höhlentauchen, um Führung in herausfordernden Projektumgebungen zu vermitteln.

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