
Die Unternehmenswelt ist durch eine beispiellose Dynamik und zunehmende Komplexität gekennzeichnet. Angesichts knapper Ressourcen und sich schnell ändernder Marktbedingungen wird die gezielte Auswahl und Priorisierung von Projekten im Rahmen des Projektportfoliomanagements (PPM) immer mehr zum zentralen Erfolgsfaktor. Das PPM entscheidet darüber, welche Projekte „die richtigen“ sind, um Unternehmen kurz- und langfristig voranbringen und damit über die strategische Zukunftsfähigkeit.
In dieses komplexe Umfeld hält die Generative Künstliche Intelligenz (KI), die aktuell in aller Munde ist, Einzug und eröffnet neue Perspektiven für datenbasierte Entscheidungsunterstützung. Die Frage, die sich Unternehmen und Forschung stellen müssen, lautet: Wie können Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT Portfoliomanager bei der strategischen Projektpriorisierung wirksam unterstützen?
Bisherige wissenschaftliche Forschung fokussierte sich primär auf die Automatisierung kognitiver Entscheidungsprozesse mit von strukturierten, numerischen Daten und regelbasierten Entscheidungssystemen. Die Projektpriorisierung stellt jedoch einen hybriden Entscheidungsprozess dar, in dem quantitative Kennzahlen mit qualitativen, kontextabhängigen Informationen verknüpft werden müssen. Wie Generative KI insbesondere diese komplexe Verknüpfung unterstützt und Entscheidungsalternativen strukturiert aufbereitet, wurde bislang jedoch nur vereinzelt untersucht. Es fehlte an Erkenntnissen, wie genau LLMs jenseits reiner Analyse- und Visualisierungsfunktionen die Strukturierung komplexer Entscheidungsalternativen unterstützen können, und wie diese Unterstützung von Portfoliomanagern in der Praxis wahrgenommen wird.
Die jüngste empirische Forschung widmete sich genau dieser Lücke, indem sie die Potenziale, Grenzen und Wahrnehmungen des Einsatzes Generativer KI im PPM untersuchte. Dazu wurde ein umfassender Mixed-Methods-Ansatz gewählt, der ein Experiment mit Projektmanagern beinhaltete, welche eine Fallstudie zur Projektpriorisierung sowohl mit als auch ohne KI-Unterstützung bearbeiteten. Ergänzt wurde dies durch eine quantitative Erhebung zur Nutzererfahrung und qualitative, semi-strukturierte Interviews zur Vertiefung der Bewertung und Wahrnehmung. Diese Kombination aus quantitativen und qualitativen Daten ermöglichte es, das Thema sehr umfassend und mit hohem Praxisbezug zu beleuchten.
Die experimentellen Ergebnisse bestätigen zunächst die positive Erwartungshaltung gegenüber der neuen Technologie: Die Teilnehmenden zeigten sich sehr positiv überrascht von den Einsatzmöglichkeiten und der Qualität des Outputs der generativen KI.
Die empirischen Daten identifizierten, dass ChatGPT im Prozess der Portfolio-Planung verschiedene entscheidende Rollen einnehmen kann, die über die reine Datenverarbeitung hinausgehen:
Obwohl die anfängliche Überraschung über die Leistungsfähigkeit der KI groß war, liegt die zentrale und wichtigste Erkenntnis der Forschung in der klaren Notwendigkeit der menschlichen Kontrolle. Die empirische Analyse zeigte, dass die alleinige Delegation der Priorisierung an die KI mit den schlechtesten Ergebnissen verbunden war. Experten, die sich im Experiment zu sehr auf die Ergebnisse und Entscheidungen der KI verließen, erzielten schlechtere Resultate. Im Gegensatz dazu erzielten Portfoliomanager, welche die KI als unterstützendes Werkzeug nutzten und die generierten Ausgaben kritisch überprüften und weiterentwickelten, sehr gute Ergebnisse.
Die menschliche Entscheidungsführung wurde in den Analysen als notwendige Bedingung für eine hohe Qualität der Ergebnisse identifiziert. Das bedeutet für die Zukunft des PPM: Ein Zusammenspiel aus Mensch und KI, das die jeweiligen Stärken beider Akteure nutzt, wird sehr entscheidend sein. Während die KI analytische Stärken ausspielt und vorbereitende Aufgaben übernimmt, behält der Mensch die Kontrolle und fällt die strategischen Entscheidungen.
Die Wahrnehmung von ChatGPT als Unterstützungstool im PPM war insgesamt überwiegend positiv. Viele Teilnehmende hoben die Zeitersparnis und die Erleichterung beim Einstieg in komplexe Themen hervor. Besonders geschätzt wurden dabei transparente Erklärungen, strukturierte Ausgaben und unterstützende Rückfragen des Modells.
Die Studie beleuchtete auch die Faktoren, die die Akzeptanz und erfolgreiche Nutzung beeinflussen. Eine hohe Technologieoffenheit, Erfahrung mit Generativer KI und ein vergleichsweise niedriges Alter der Teilnehmenden begünstigten eine als gut wahrgenommene Unterstützung.
Dennoch bestehen Herausforderungen. Diese betreffen:
Zudem wurde deutlich, dass unklare Prompts und eine unstrukturierte Nutzung zu weniger hilfreichem Output führten. Dies führte unter anderem zu verlängerten Bearbeitungszeiten. Dabei machten die Teilnehmenden jedoch oftmals sich selbst und unklare Prompts für technische Schwierigkeiten verantwortlich, was einen klaren Hinweis auf den Bedarf an Weiterbildung und gezielten Schulungen liefert.
Generative KI wird das Projektportfoliomanagement nachhaltig verändern. Sie wird jedoch nicht zur vollständigen Automatisierung führen, sondern den Menschen gezielt bei vorbereitenden und analytischen Aufgaben entlasten.
Für die Praxis ergibt sich die Empfehlung, ein hybrides Modell aus KI-Assistenz und menschlicher Entscheidung einzusetzen, da dieses sich als besonders wirkungsvoll erweist. Die Nutzung Generativer KI ist dabei nicht nur ein großer Hebel in Unternehmen mit noch wenig etablierten PPM-Prozessen, sondern trägt auch bei reifen Strukturen zur Effizienzsteigerung und Objektivierung von Entscheidungen bei.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt im effektiven und verantwortungsvollen Einsatz dieser Technologien. Unternehmen müssen in die Prompting-Kompetenz ihrer Mitarbeiter, in klare Kontrollmechanismen, Weiterbildungen und Pilotprojekte investieren, um sicherzustellen, dass die Potenziale von KI optimal genutzt werden. Die Technologie ist eine Ergänzung zur menschlichen Expertise und dient dazu, die Entscheidungsbasis zu fundieren.
In einem zukunftsfähigen PPM fungiert die KI als hochintelligenter Assistent und Co-Pilot. Sie hilft, die "richtigen Projekte" schneller und fundierter zu identifizieren, während die strategische Steuerung und die Kontextualisierung der Ergebnisse fest in menschlicher Hand bleiben. Denn die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und zur Berücksichtigung komplexer Rahmenbedingungen ist und bleibt unverzichtbar. Erst durch die erfolgreiche Zusammenarbeit von Mensch und KI entstehen neue Perspektiven für Effizienz, Qualität und Innovationskraft im PPM – und damit das Fundament für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer zunehmend komplexen und dynamischen Welt.
Der Autor wurde für seine Forschungsarbeit mit dem „Deutschen Studienpreis Projektmanagement 2025“ ausgezeichnet. Mehr über den Preis erfahren Sie hier
Die Preisverleihung zum “Deutschen Studienpreis Projektmanagement” finden Sie hier
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Sebastian Colditz hat den Masterstudiengang "Wirtschaftsingenieurwesen mit technischer Fachrichtung Maschinenbau" an der Technischen Universität Darmstadt absolviert und ist als Implementation & PM Strategy Consultant bei der Management- und Technologieberatung Campana & Schott tätig.
sebastian.colditz@campana-schott.com
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